Flaneursalon im Fluss, Neckar-Käpt'n-Schiff "Wilhelma", Stuttgart
25. Juni 2009


Neckarschiff Wilhelma Roland Baisch und G.A.W. Michael Gaedt Roland Baisch und G.A.W. Michael Gaedt Roland Baisch und G.A.W. Los Santos auf dem Neckarschiff Wilhelma Michael Drauz Neckarschiff Wilhelma Neckarschiff Wilhelma Los Santos Los Santos Los Santos Dacia Bridges Dacia Bridges Joe Bauer Stefan Hiss Stefan Hiss Neckarschiff Wilhelma Anja Binder und Michael Gaedt Michael Gaedt Stuttgart Hofen Stuttgart Hofen Los Santos Los Santos auf dem Neckarschiff Wilhelma Los Santos auf dem Neckarschiff Wilhelma Los Santos auf dem Neckarschiff Wilhelma



PIRATEN AUF DEM WEG IN DEN DSCHUNGEL

Joe Bauer ist mit den Musikern seiner Show Flaneursalon den Neckar entlanggeschippert. Schön war's.

Von Michael Werner


Wenn man die Müllverbrennungsanlage in Münster hinter sich gelassen hat, wird es auf dem Neckar richtig schön. Am rechten Ufer stehen Bäume, links erinnern sanfte Hügel an den letzten Urlaub in Österreich. Doch die Idylle bei Hofen trügt. Denn erstens regiert hier ein Ministerpräsident, den Joe Bauer, der Kolumnist der "Stuttgarter Nachrichten" und der Initiator der famosen Show "Flaneursalon auf dem Fluss" beharrlich einen "Nasallautterroristen" nennt. Dieser Ministerpräsident plant ja, so knurrt es Bauer verächtlich in sein Mikrofon, ein "Grubenunglück" namens Stuttgart 21. Assistiert von einem Oberbürgermeister, der laut Bauer neben anderen Nachteilen "kein Verhältnis zum Wasser" hat.

Der Geschichtenerzähler ärgert sich jetzt, und wenn er sich ärgert, dann bröckelt seine Stimme so engagiert, als grabe jemand im Steinbruch nach einbetonierten Leichen. "Schuster verscherbelt die Wasserleitungen und das Klärwerk gleich dazu", sagt Joe Bauer also. Die logische Folge steht auf einem Blatt Papier, das auf der Pedal-Steel-Gitarre von Stefan Hiss' neuer Band Los Santos liegt. Joe Bauer hat sich hinter das Instrument gequetscht und prophezeit: "Eines Tages wird der Neckar aus seiner Haut fahren. Er wird sich rächen, weil man ihn behandelt wie einen nassen Hund." Aber das ist nur das eine.

Das andere, was die Idylle auf dem Neckar stört, ist der Umstand, dass von Backbord ein Motorboot heranbraust. "Joe Bauer ist ein Lügner", schreit auf dem Motorboot ein Mann in einem furchtbar hässlichen Tarnanzug in sein Megafon.

Jetzt wird es hektisch auf der Wilhelma, dem Schiff aus der Flotte des Neckar Käpt'n , das Joe Bauer gechartert hat, um 230 Zuschauern Lieder und Geschichten nahe zu bringen, deren Qualität weit über das hinausreicht, was gewöhnliche Landratten tagtäglich zu konsumieren gezwungen sind. Es wird hektisch, aber Michael Gaedt behält das, was man bei normalen Menschen Nerven nennt. "Wir haben alles unter Kontrolle", ruft er, als das Motorboot blitzartig näher kommt. Aber dann merkt auch Gaedt: "Wir werden aufgebracht!" Im Angesicht der Piraten empfiehlt er: "Mädle, machet eich wiascht! Vielleicht kann jemand ein Gebet anstimmen!"

Als die Piraten die Wilhelma geentert haben, erkennt man: Es sind Roland Baisch, der Comedian und Countryboy, und sein Kumpel GAW vom Stuttgarter Jugendhaus. Sie singen ein Liedlein, rufen "Freiheit für Somalia!" und bald nähert sich das Konzertschiff Remseck, wo es am Ufer so dschungelig wird, dass man sich in Costa Rica wähnen könnte, sänge nicht auf dem Oberdeck gerade Anja Binder gemeinsam mit Michael Gaedt so hinreißend den "Surabaya Johnny" frei nach Bert Brecht.

Mexikanisch freilich wird's auch auf dem Neckar - immer dann, wenn die Band Los Santos große Gefühle auf die winzige Bühne im Oberdeck pfercht. Im Unterdeck geht's noch beengter zu. Da holt die hochschwangere Sängerin Dacia Bridges das Beste aus Leonard Cohens lakonischer Ballade "Chelsea Hotel" heraus. Direkt hinter ihr befindet sich die Schiebetür zu den Bordtoiletten, und dort herrscht derart reger Publikumsverkehr, dass Joe Bauer vermutet, seine liebevoll nostalgische Hommage an das Mineralbad Berg drücke womöglich auf die eine oder andere Blase.

"Der Vorteil ist - ihr könnat ned weg", hatte Michael Gaedt zu Beginn dem Publikum zugerufen. Dabei war der Flaneursalon so überschwänglich inspirierend, dass man gerne noch länger zugehört hätte, als die Wilhelma nach dreieinhalb Stunden wieder am Zoo dieses Namens anlegte.


Stuttgarter Zeitung, 27. Juni 2009


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